ich hatte angst, einfach angst.
wie ich ausgewandert bin, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte
wie wird alles werden? war es die richtige entscheidung? wird unser kind glücklich sein? finde ich rechtzeitig vor der geburt einen vertrauenswürdigen gynäkologen? eine hebamme, die sich für mich und mein baby zeit nehmen kann? in welche klinik soll ich nur gehen? krankenversicherung. wie machen wir das mit der krankenversicherung? sooo viele fragen. und einfach keine antworten. ich hatte angst, einfach angst.
es ist nicht so, dass ich angst davor habe, woanders zu leben. ich mein, ich liebe es, zu reisen. ein paar wochen raus aus dem alltag und dem gewohnten und rein ins unbekannte. neue menschen, andere sprache, fremdes essen. meeresluft in der nase, das rauschen der wellen im ohr und azurblaues nass auf der haut. so stelle ich mir den perfekten urlaub vor.
reisen ist stress. oder doch nicht?
es ist nun zweieinhalb jahre her, dass mein mann das erste mal zu mir sagte: “komm, lass uns mal in die schweiz fahren, meinen onkel besuchen!” ok, er hat es auf englisch gesagt, aber so ungefähr war es. also fuhren wir. 674 km. es war juli, wir hatten kurze hosen an, es war warm. unser sohn, damals 1 jahr und wenige monate alt, war schon an längere autofahrten gewöhnt. ans reisen allgemein. das war von vornherein auch eines der ziele in unserer “erziehung” - und ist es auch immer noch: wir wollen, dass unsere kinder sich auf der welt gut und selbständig zurechtfinden können, wenn es sein muss. also zeigen wir ihnen ab geburt, wie das alles funktioniert. immer, wenn wir laaange im auto unterwegs sind, machen wir so genannte “reisetage”. wir setzen uns kein zeitziel für die ankunft, sondern der weg ist dann für uns tatsächlich das ziel. egal, wie lange es dauern mag. die anreise ist für uns schon teil des urlaubs und da wollen wir keinen stress. ich verrate euch mal ein geheimnis: der stress kommt trotzdem. von ganz allein. aber wir als eltern können einfach nur versuchen, es für alle beteiligten so angenehm wie möglich zu machen.
auspowern, immer auspowern
wenn wir also quer durch europa fahren, nehmen wir für unsere kinder fahrzeuge mit. auf dem weg in die schweiz vor zweieinhalb jahren hatte unser sohn seinen lieblingsporsche, ein kleines rotes rutschauto, dabei. sobald wir an einem großen autobahnrastplatz hielten, schwang er sich auf sein gefährt und düste über den platz. natürlich nicht in richtung autobahn und natürlich auch nicht da, wo autos parkten oder fuhren. es findet sich einfach immer eine ecke, wo sie sich mal austoben können - ohne großartige gefahren.
für uns ist das so optimal. wir hatten ihn zu jeder zeit im blick und konnten uns selbst auch mal die füße vertreten und was essen und trinken. das haben wir so circa alle zweieinhalb bis drei stunden gemacht. insgesamt waren wir 9 stunden unterwegs. auch mit pausen - unsere hintern schliefen trotzdem ein und taten weh.
stadt, land, unentschieden
wir verbrachten etwa eine woche in der schweiz, schauten uns die gegend an und genossen unsere familienzeit. ich fand es schön. aber da wohnen? das kam mir überhaupt nicht in den sinn. warum soll ich denn in der schweiz wohnen wollen? unser zuhause in deutschland ist doch schön. ich hatte einen job mit aussicht auf baldige beförderung und war gerade frisch wieder eingestiegen nach meiner elternzeit. das setz ich doch nichts auf’s spiel.
mein mann hingegen, er ist ein reisender. er kommt aus island. wenn man als isländer geschäftlich etwas reißen will, muss man runter von der insel. also ist er gegangen. nach england. zum studium. mit auslandssemestern in der schweiz und in deutschland. er liebt die stadt. den trubel und die lautstärke. in deutschland haben wir in einer stadt gelebt. sie war ungefähr 4 bis 5 mal kleiner als die städte, die er gern hat. für mich war sie bereits zu groß. ich bin ein landkind. ich liebe ruhe, gern auch mal stille. lärm macht mich wahnsinnig - und grantig. so richtig glücklich war ich in unserem zuhause in deutschland also nicht.
neuer job. neues glück
als mein mann dann im herbst sagte, er muss dringend in die schweiz fliegen, war ich allein mit unserem kind. und meinen gedanken. meine erhoffte beförderung wurde mir verweigert. ich war todunglücklich, hatte innerlich bereits gekündigt. mein mann hatte beruflich mittlerweile auch keine perspektive mehr auf erfolg. und die gegend war ihm sowieso ziemlich fremd.
während seines aufenthaltes in der schweiz ergab sich für meinen mann die chance auf einen tollen job. gesagt, getan. neue arbeit, neue perspektive. es folgten wochen und monate mit ferngesprächen und video-calls. für meinen mann wurde es anstrengend und für mich immer trister. ich war inzwischen mit unserem zweiten kind schwanger und wusste, in meinen alten job möchte ich nach der geburt nicht wieder zurück. da sagte er es. einfach so: “lass uns doch in die schweiz gehen. da wird es uns besser gehen.” und was soll ich sagen? er ist mein mann. wir sind verheiratet. wenn er in die schweiz muss und möchte, dann gehe ich mit. das steht für mich außer frage. ich werd dort schon eine neue arbeit finden.
warum hab ich nur JA gesagt?
wir begannen, zu planen. so viel war zu erledigen. wir geben ja einfach alles auf. dann fing es an, sich zu drehen. mein gedankenkarussell. das wird nicht nur ein urlaub. wir kommen nicht nach 2 wochen wieder zurück. mein kopf war voll mit fragen und mein herz schwer. meine eltern, die bleiben ja da. meine freundinnen - wann seh ich die denn mal wieder? kann ich in der schweiz neue freunde finden? die schweizer gelten “fremden” menschen gegenüber ja eher als reserviert. ich wollte doch auch nie in die schweiz. da sind überall berge. ich mag doch aber das meer viel mehr. und was, wenn ich die ganze zeit nur einsam bin? wenn uns keiner mag? was, wenn unser sohn die sprache nicht versteht? ja, schwytzerdütsch klingt wie eine andere sprache. ich hab geweint. viel. und bis zum letzten tag. mein mann konnte nicht mit umziehen, da er geschäftlich verreisen musste. so eine sch****! also fuhr ich allein, es blieb mir ja nichts anderes übrig.
eine liebe freundin begleitete mich für die ersten paar tage. immerhin war ich ja mittlerweile im 6. monat schwanger und unser sohn ein kleiner energiegeladener schelm.
heute kann ich eines sagen: 8 von 10 fragen, die mir so auf der seele brannten, konnte ich erst beantworten, als wir in unserem neuen zuhause angekommen waren. was wir aus deutschland heraus organisieren konnten [wohnung, ab- und anmeldung bei der gemeinde | stadt, kita, beantragung aufenthalt], haben wir erledigt. alles andere ergibt sich und, wenn man offen und interessiert auf die neue heimat zugeht, öffnet sie sich einem ganz schnell.
seit mein mann und ich uns im frühjahr vor 5 jahren trafen, wurden uns hier und da immer mal wieder steine auf unseren gemeinsamen weg gelegt. wir haben sie alle aus dem weg geräumt! umso mehr genießen wir nun, wenn wir ungezwungen freie zeit miteinander verbringen können. wir gehen unseren weg gemeinsam - und wenn er uns in ein fremdes land führt.
also JA - es war die richtige entscheidung. die beste seit langem.